[FESTIVAL REVIEW] PULS Festival, Munich, 28th November 2015

Ob man mit München sofort ein überdurchschnittlich ausgeprägtes Nachtleben, musikalische Vielfalt und Festivalstimmung auf höchstem Niveau verbindet, steht zur Debatte. Dies stand zur Debatte. Denn gestern, am 28.11.2015, hat PULS („das junge Programm des Bayrischen Rundfunks“) bewiesen, dass diese drei Aspekte sehr wohl mit der bayrischen Landeshauptstadt assoziiert werden können. Das diesjährige „PULS-Festival“ war für uns, und sicherlich für viele andere Besucher, eines der musikalischen Highlights von 2015. Hier sind unsere Eindrücke von einem sehr abwechslungsreichen, qualitativen und tollen Konzert-Abend.
Betritt man das „Funkhaus“ vom BR an diesem Abend zum ersten Mal, fühlt man sich zuerst wie in einem aufwendig produzierten Musikvideo. Discokugeln, Zuckerwatte, überall Scheinwerfer, Kameras, Moderatoren, Fernsehbildschirme und DJ-Pulte. Es läuft Alt-J und Portugal.The Man, draußen stehen Heizkörper und Stehtische für Frischluftgenießer (alias Raucher) und alles macht irgendwie bling-bling. Man merkt sofort, dass sich der Veranstalter überdurchschnittlich viele Gedanken gemacht hat, um den Besuchern einen perfekten Abend zu gewährleisten. Ab 20:00 Uhr kann man sich dann auch schon zwischen drei Acts, die parallel in, für den Festivalabend umfunktionierten, Radiostudios und Kantine stattfinden, entscheiden. Wir begeben uns nach kurzem Überlegen zu der Indie-Newcomer-Band „Kytes“.
Alle Fotos von Sascha Gontcharov // @saschagon
Die sehr sympathische Münchner Band klär auf: „Das ist jetzt ein neuer Song, München, aber eigentlich ist jeder Song von uns ein neuer.“ Und anders kann es auch gar nicht sein, denn die Karriere von „Kytes“ dauert noch nicht besonders lang an, ist dafür aber umso erfolgreicher. Denn seit ihrem Debüt im Sommer sind die vier Jungs unermüdlich am touren, schreiben und recorden. Wir sind begeistert, denn einerseits hat „Kytes“ was komplett eigenes, neues und innovatives, andererseits klingt die Band wie ein unglaublich guter Mix aus Two Door Cinema Club, Arcade Fire und Foster The People.
IMG_9091

Direkt weiter geht es mit der „Antilopen Gang“. Die Rap-Crew aus Düsseldorf/Aachen begeistert das Publikum mit politischen (auch wenn sie sich selber nicht als „politische Band“ bezeichnen), witzigen, intellektuellen und interessanten Texten. Jeder, der vorher nicht überzeugt von der Gang war, muss spätestens beim Track „DIE KYNGZ SIND BACK!!!1“ vom neuen Mixtape „Abwasser“ (kostenlos zum Download unter www.antilopengang.de) eingestehen, dass die Kings tatsächlich back sind; wobei sie nach unserer Auffassung nie weg waren. Sehr bewegend wird es mit dem NMZS-Song „Nie mehr zurück“, der zu Ehren des verstorbenem Sängers, der an jenem Tag 31 Jahre alt geworden wäre, gespielt wird. Danach wird, zusammen mit sanften Klavierakkorden und Feuerzeug-Schwenk-Momenten, der legendäre „Enkeltrick“ erklärt. Wer ihn nicht kennt, sollte diesen unbedingt nachrecherchieren, immerhin ist das der Weg zum ultimativen Reichtum. Nach einer sehr eindrucksvollen Wall-Of-Death zu dem Hit „Fick die Uni“ endet das Set mit dem wunderbaren „Beate Zschäpe hört U2“, der allen Montagsdemonstranten und Verschwörungstheoretikern zeigt, was die Antilopen-Gang eigentlich von ihnen hält.



Nach einer kurzen Pause lassen wir uns von der Kölner Band „Oracles“ begeistern. Bei dieser sind wir auch nach doppeltem Hinsehen und –hören irritiert, denn man fühlt sich auf einmal wie auf einem Tame-Impala-Gig. Und das ist wohl eines der größten Komplimente, das man unserer Auffassung nach einer Alternativ/Indie-Band machen kann. 2013 gegründet, mischen Oracles, mit großer Beihilfe von allbekanntem Libertines-Frontmann Pete Doherty, nicht nur auf nationaler Ebene erfolgreich in der Musikszene mit. Uns gefällt’s: innovative, trippige und zugleich rockige, tanzanregende Indie-Klänge, die große Hoffnung geben, dass Oracles schon sehr bald zu den Großen gehören könnten.

Gegen 23:45 spielen „Die Orsons“, „Findlay“ und später dann „Die Nerven“. Das It’s All Indie Team (klingt lässig, wa?) checkt bei jeder Band das Publikum aus - Fazit: begeisterte Musikliebhaber, Durchschnittsalter höher als erwartet, Stimmung Top. Alle U18-Jährigen müssen das Festival leider verlassen, es muss schwer sein, jetzt von solch einer Veranstaltung zu gehen. Von vielen hören wir, das Multiinstrumentalist „L’aupaire“ ihr persönliches Highlight war, andere schwärmen von den Newcomern „Monday Tramps“. Wir haben unsere Kameras den netten Damen aus der Garderobe anvertraut, denn in einigen Minuten ist es Zeit für „Zugezogen Maskulin“.
Die Entscheidung ist mehr als klug, denn was folgt ist ein alles-abreißender 35-Minuten-Gig, den unsere Ausrüstung wohl kaum überlebt hätte. Das Rap-Duo, welches seit dem 2014 erschienenem Album „Alles Brennt“ die Hip-Hop-Szene ordentlich aufmischt, verwüstet die kleine „Kantine“ (eine der drei Bühnen) auf höchstem Niveau. Irgendwie schafft es ZM auf trapplastigen Beats solch aggressive, pöbelnde und gleichzeitig so intelligente und tiefgründige Texte zu verpacken, wie keiner davor. Hört man sie zum ersten Mal, denkt man wahrscheinlich zunächst: „Sind die gerade aus der Klappse ausgebrochen? Wieso schaut der eine so böse? Und wieso rappen die davon, dass endlich wieder Krieg ist?“ Hört man etwas genauer hin, bemerkt man die Tiefgründigkeit und Genialität hinter der Musik; und ehe man sich versieht, springt man in einem brüllendem und begeistertem Mosh-Pit aus BR-Mitarbeitern, Musikbloggern und Fans von Stunde-Eins wieder. „Zugezogen Maskulin“ bringt das Publikum dazu Sätze wie „Wir haben viel zu viel, um euch was abzugeben!“ zu rufen, dabei aber kritisch auf genau Problematiken in unserer heutigen Gesellschaft aufmerksam zu machen. Für uns ist dies der perfekte Abschluss für einen Abend, der musikalisch und organisatorisch in der höchsten Liga mitgespielt hat. Riesen-Props an Organisatoren und Helfer, an die Bands und an das Publikum: ihr wart alle Spitze! It’s All Indie freut sich schon aufs nächste PULS-Festival und kann es jedem nur weiterempfehlen. Sascha Gontcharov und Benjamin Brown waren auf dem PULS Festival - und haben allen engstirnigen Musikfans gezeigt, dass das Schwärmen für Indie-Bands und Abgehen auf Trap absolut miteinander vereinbar sind.